29.07.21, 12:14
Kapitel I
~Dienstag, 27. Juli 2021~
Das laute und beständige Klingeln mehrerer Telefone mischt sich mit dem geschäftigen Treiben von Menschen, die ihrem Tagwerk nachgehen. Das Hin und Her der weißgekleideten Personen, der Geruch nach schlechtem Kaffee, die immer wieder zu hörenden genervten Rufe; zusammen mit den kalten weißen Wänden und den zu allen Seiten abgehenden Türen bietet all dies die Kulisse einer chronisch unterbesetzten Krankenstation.
???: Zwei Neuzugänge heute, Doktor.
Ein Mann mittleren Alters in der allgegenwärtigen Kleidung des Pflegepersonals, bemüht sich, mit einer hochgewachsenen Frau im weißen Arztkittel mitzuhalten, die mit der unverkennbaren Haltung einer Person dahinschreitet, deren Tag gar nicht genug Stunden haben kann. Dr. Elisabeth Sobek, die Leiterin dieser Einrichtung, ist etwa fünfzig Jahre alt und trägt ihr ergrauendes Haar zu einem strengen Dutt gebunden.
Pfleger: Die erste ist eine Frau. Massive Persönlichkeitsstörung, bisweilen gewalttätiges Verhalten.
Der Pfleger reicht Dr. Sobek ein Klemmbrett, welches sie rasch und geschult mit den Augen überfliegt.
Dr. Sobek: Eine Jane Doe?
Fragt sie und zieht im Gehen die Augenbraue leicht nach oben.
Pfleger: Nun, die Sache ist etwas komplizierter. Offiziell hat die junge Frau keinen Namen, da sie über keinen Ausweis oder irgendwelche Dokumente verfügt, mit der wir ihre Identität feststellen könnten. In ihren gerichtlichen Einweisungspapieren ist allerdings ein Name vermerkt, er steht dort unter „Alias“.
Dr. Sobek schlägt das erste Blatt um und lässt den Blick rasch über die zweite Seite schweifen, bis sie die entsprechende Stelle gefunden hat.
Dr. Sobek: Holly Letkeman. Nun den, dann werden wir sie vorläufig so nennen, bis wir weitere Informationen einholen können.
Sagts und macht einen raschen Vermerk am Rand des Papiers. Gemeinsam mit dem Pfleger betritt sie nun einen kargen Raum, in dem sich lediglich ein Tisch und einige Stühle befinden. Die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes wird fast vollständig durch ein breites Fenster eingenommen, an das Sobek und ihr Untergebener nun treten. Der Raum hinter dem Fenster ist schlicht, aber in warmen Farben gehalten. Ein Bett steht an der Wand, ein Fenster lässt blasses Tageslicht herein, befindet sich allerdings so hoch, dass man nicht hinaussehen – oder hinausklettern – kann.
Auf dem Bett hockt die junge Frau, von der gerade die Rede war. Man hat ihr Kleidung gegeben, die an jene der Pflegerinnen und Pfleger erinnert, allerdings ist das Shirt, das Holly Lekteman, wie man sie nun vorerst nennt, trägt, nicht weiß, sondern hellblau. Die Knie ans Kinn gezogen, die Augen auf den Boden gerichtet, das ungeschminkte Gesicht von schwarzem Haar umrahmt, sitzt Holly da und summt leise vor sich hin.
Dr. Sobek: Wie ich lese hat man ihr eine beträchtliche Menge an Beruhigungsmitteln verabreicht. Sie sollte eigentlich schlafen, bei dieser Dosis.
Pfleger: Ihre Widerstandskraft gegen das Medikament ist beträchtlich. Aber zumindest ist sie nicht länger gewalttätig. Bei ihrer Festnahme hat sie drei Pfleger und zwei Polizeibeamte verletzt.
Die junge Frau hebt plötzlich den Blick und schaut geradeaus – direkt in die Augen von Dr. Sobek.
Dr. Sobek:Sie kann uns nicht sehen, oder?
Fragt die Ärztin mit leicht verdutzter Stimme.
Pfleger: Weder sehen noch hören. Die Mikrofone in ihrer Zelle zeichnen alles auf, was in diesem Raum vor sich geht, aber sie hört nichts und im Fenster sieht sie nur ihr eigenes Spiegelbild.
Doch die Stimme des Mannes wirkt ein wenig unsicher, denn nun ist die junge Patientin aufgestanden und langsamen Schrittes an das Fenster, das für sie ein großer Spiegel ist, herangetreten. Sie steht nun direkt vor Dr. Sobek und legt langsam den Kopf schief; ihre hellen grünen Augen fixieren dabei unablässig die der Ärztin. Dann beginnt sie leise, etwas zu summen, das wie ein Kinderreim klingt.
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Will etwas herein?
Oder etwas heraus?
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Eine Weile lang schauen sich Dr. Sobek und die unbekannte junge Frau namens Holly durch den Spiegel hindurch an, dann wendet die Ärztin sich ab.
Dr. Sobek: Wir werden Morgen entscheiden, wie wir die Therapie gestalten. Bis dahin will ich mehr Informationen über sie haben, verstanden?
Der Pfleger nickt eifrig, dann verlassen beide eilig den Raum. Hinter dem Spiegel schaut Holly Letkeman Dr. Sobek hinterher und murmelt unablässig weiter vor sich hin.
Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf …
~Dienstag, 27. Juli 2021~
Das laute und beständige Klingeln mehrerer Telefone mischt sich mit dem geschäftigen Treiben von Menschen, die ihrem Tagwerk nachgehen. Das Hin und Her der weißgekleideten Personen, der Geruch nach schlechtem Kaffee, die immer wieder zu hörenden genervten Rufe; zusammen mit den kalten weißen Wänden und den zu allen Seiten abgehenden Türen bietet all dies die Kulisse einer chronisch unterbesetzten Krankenstation.
???: Zwei Neuzugänge heute, Doktor.
Ein Mann mittleren Alters in der allgegenwärtigen Kleidung des Pflegepersonals, bemüht sich, mit einer hochgewachsenen Frau im weißen Arztkittel mitzuhalten, die mit der unverkennbaren Haltung einer Person dahinschreitet, deren Tag gar nicht genug Stunden haben kann. Dr. Elisabeth Sobek, die Leiterin dieser Einrichtung, ist etwa fünfzig Jahre alt und trägt ihr ergrauendes Haar zu einem strengen Dutt gebunden.
Pfleger: Die erste ist eine Frau. Massive Persönlichkeitsstörung, bisweilen gewalttätiges Verhalten.
Der Pfleger reicht Dr. Sobek ein Klemmbrett, welches sie rasch und geschult mit den Augen überfliegt.
Dr. Sobek: Eine Jane Doe?
Fragt sie und zieht im Gehen die Augenbraue leicht nach oben.
Pfleger: Nun, die Sache ist etwas komplizierter. Offiziell hat die junge Frau keinen Namen, da sie über keinen Ausweis oder irgendwelche Dokumente verfügt, mit der wir ihre Identität feststellen könnten. In ihren gerichtlichen Einweisungspapieren ist allerdings ein Name vermerkt, er steht dort unter „Alias“.
Dr. Sobek schlägt das erste Blatt um und lässt den Blick rasch über die zweite Seite schweifen, bis sie die entsprechende Stelle gefunden hat.
Dr. Sobek: Holly Letkeman. Nun den, dann werden wir sie vorläufig so nennen, bis wir weitere Informationen einholen können.
Sagts und macht einen raschen Vermerk am Rand des Papiers. Gemeinsam mit dem Pfleger betritt sie nun einen kargen Raum, in dem sich lediglich ein Tisch und einige Stühle befinden. Die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes wird fast vollständig durch ein breites Fenster eingenommen, an das Sobek und ihr Untergebener nun treten. Der Raum hinter dem Fenster ist schlicht, aber in warmen Farben gehalten. Ein Bett steht an der Wand, ein Fenster lässt blasses Tageslicht herein, befindet sich allerdings so hoch, dass man nicht hinaussehen – oder hinausklettern – kann.
Auf dem Bett hockt die junge Frau, von der gerade die Rede war. Man hat ihr Kleidung gegeben, die an jene der Pflegerinnen und Pfleger erinnert, allerdings ist das Shirt, das Holly Lekteman, wie man sie nun vorerst nennt, trägt, nicht weiß, sondern hellblau. Die Knie ans Kinn gezogen, die Augen auf den Boden gerichtet, das ungeschminkte Gesicht von schwarzem Haar umrahmt, sitzt Holly da und summt leise vor sich hin.
Dr. Sobek: Wie ich lese hat man ihr eine beträchtliche Menge an Beruhigungsmitteln verabreicht. Sie sollte eigentlich schlafen, bei dieser Dosis.
Pfleger: Ihre Widerstandskraft gegen das Medikament ist beträchtlich. Aber zumindest ist sie nicht länger gewalttätig. Bei ihrer Festnahme hat sie drei Pfleger und zwei Polizeibeamte verletzt.
Die junge Frau hebt plötzlich den Blick und schaut geradeaus – direkt in die Augen von Dr. Sobek.
Dr. Sobek:Sie kann uns nicht sehen, oder?
Fragt die Ärztin mit leicht verdutzter Stimme.
Pfleger: Weder sehen noch hören. Die Mikrofone in ihrer Zelle zeichnen alles auf, was in diesem Raum vor sich geht, aber sie hört nichts und im Fenster sieht sie nur ihr eigenes Spiegelbild.
Doch die Stimme des Mannes wirkt ein wenig unsicher, denn nun ist die junge Patientin aufgestanden und langsamen Schrittes an das Fenster, das für sie ein großer Spiegel ist, herangetreten. Sie steht nun direkt vor Dr. Sobek und legt langsam den Kopf schief; ihre hellen grünen Augen fixieren dabei unablässig die der Ärztin. Dann beginnt sie leise, etwas zu summen, das wie ein Kinderreim klingt.
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Will etwas herein?
Oder etwas heraus?
Klopf, klopf
Wer ist an der Tür?
Eine Weile lang schauen sich Dr. Sobek und die unbekannte junge Frau namens Holly durch den Spiegel hindurch an, dann wendet die Ärztin sich ab.
Dr. Sobek: Wir werden Morgen entscheiden, wie wir die Therapie gestalten. Bis dahin will ich mehr Informationen über sie haben, verstanden?
Der Pfleger nickt eifrig, dann verlassen beide eilig den Raum. Hinter dem Spiegel schaut Holly Letkeman Dr. Sobek hinterher und murmelt unablässig weiter vor sich hin.
Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf, wer ist an der Tür? Klopf, klopf …